Klumpfüßlinge

Aufnahme:
Christoph Keller/Gröninger
Ihren ersten revolutionären Auftritt hatten sie 1954 am Fußballplatz, als Deutschland die WM gewann. Ihren zweiten 1985 dank Joschka Fischer im Bundestag. Ihren dritten auf der Konzertbühne an Madonnas Beinen. Die drei Streifen - alle drei - sind dieselben geblieben, während sich in ihrem Bedeutungswandel das Entfaltungsgesetz der Konsumkultur zu erkennen gab.

Waren Sportschuhe einst erfunden worden, um für bestehende Sportarten zweckmäßiger auszurüsten, so werden heute Sportarten wie etwa „Streetball“ erfunden, damit neue Schuhmodelle als notwendig erscheinen. Das Prinzip der Zweckmäßigkeit wird auf den Kopf gestellt, damit die Kopfgeburten der Werbestrategen laufen lernen und die Marke nicht an Boden verliert. Aber gehen wir zurück an den Start. Und jetzt langsam, Schritt für Schritt:
In den 50er Jahren verströmte der Turnschuh den Schweißgeruch der Umkleideräume, das Odium der Ertüchtigung und Körperdisziplin. Als er die sittliche Welt der Sportvereine verließ, verkehrte er Vater Jahns Geist ins Gegenteil. Hinausgetragen auf die Straßen propagierte er die antiautoritäre Entdisziplinierung. An die Stelle turnerischer Straffheit trat gesellschaftskritische Schlaffheit. Gegen die bürgerliche Vorschrift, mittels Straßenschuh Festigkeit und Haltung beweisen zu müssen, legte der Leisetreter lautstark Protest ein. Die Abschaffung aller Anlässe war ihm ein Anliegen: Ihn in die Oper zu tragen hieß 1970 Kulturrevolution. Im Büro verkündete er Kreativität. Seine Bequemlichkeit diente weniger dem Fuß als der Kampfansage ans Leistungsprinzip. Abgetragen und schmutzig mußte er sein, damit die Jugendbewegung in ihm gegen die Ordnung vorgehen konnte. Zumindest eine Demokratisierung der Füße wurde mit seiner Hilfe erreicht, denn nach und nach überschritt er die Grenzen der Kontinente, Klassen, Altersgruppen und Geschlechter. Vermeintlich unterwegs zur Revolution, ebnete er den Weg in die postmoderne Freizeitgesellschaft. Ohne ihn hätte die Turnschuhgeneration barfuß laufen müssen.

Kaum war der Kultschuh der Leistungsverweigerer gesellschaftsfähig geworden, machte sich die Gesellschaft in ihm auf den Weg zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit. In den 80ern war es mit dem Sich-gehen-Lassen vorbei. Joggen mit Walkman wurde Yuppie-Pflicht. Der Protestschuh der Jugendbewegung wandelte sich zu einem Werkzeug gesellschaftlicher Integration, Affirmation und Mobilisierung. Hinter dem amerikanischen Präsidenten hechelte die halbe Welt her. An die Stelle der Forderung nach einer allgemeinen Krankenversicherung trat das Prinzip der individuellen Selbstverantwortung für einen gesunden Körper: Wer sich der Fitnessbewegung verweigert und nicht ewig jung bleibt, ist nunmehr selber schuld. Mobilität ist gefragt, Flexibilität gefordert. Der Sportschuh wird zu einem Mittel der Steigerung der Arbeitsfähigkeit. Von Athleten beworben und von der Schuhindustrie technisch hochgerüstet, propagiert er nun jene seligmachende Ganztagseffizienz, die von Spaß und Freizeit nicht mehr unterscheidbar ist. Der Jogger wird zur Paradefigur des gesellschaftlich vereinzelten Selbsterfahrungssuchers, des um sich selbst besorgten narzißtischen Erfolgsmenschen. Jenseits der Arbeit gibt es nur noch Gesundheit, Training und Entspannung. Diese Dreieinigkeit der Werte des vollmobilisierten Lebens sind in Schuhform käuflich auch für all jene, denen nach der Arbeit die Kraft zum Kraftsport fehlt.

Die 90er sind das Jahrzehnt der Spezialisierung. Neben Lauf-, Tennis,- Basketball-, Golf- und Fußballschuhen betreten nun Schuhe für Running, Walking, Streetsoccer, Cross-Training, Biking, Badminton, Step und Squash jene heiß umkämpfte Sportschuharena, in der es dann doch nur um Bequemlichkeit während des Schulwegs geht - und um Informiertheit über die aktuellste Marke. Auf die Spitze getrieben wird die funktionale Differenzierung durch Modelle, die vorgeben, sie zurückzunehmen: Nostalgiepumas, sportuntaugliche Sneakers und die vielgepriesene Neuerfindung des Allroundschuhs ergänzen die unübersichtlich gewordene Vielfalt um die aufregend frische Dimension der Einfalt: „Der Nike Air Skylon Triax ist ein einfacher Schuh für Läufer, die einfach nur laufen wollen!“

Während Freizeitsportler um ihre Schlankheit ringen, werden die Schuhe immer dicker. Vollgepumpt mit aufblasbaren Fersenkissen, Gel-Kammern, Gasfüllungen, Zwischensohlendämpfern, Flexionsstabilisatoren und batteriebetriebenen Lämpchen wachsen sie zu monströsen Klumpfüßlingen. Damit sie dennoch sportlich aussehen, verkünden komplex verschlungene Wulstornamente, den Fuß von innen her wissenschaftlich verstanden und in eine funktionsoptimierte Hülle umgegossen zu haben. Außen zeigt sich eine kühne Vision innerer Anatomie als projiziertes und verdinglichtes Funktionsgesetz, unterbrochen nur von Sichtfenstern, die den inneren Reichtum beweisen und das Transparenzprinzip der Rationalität erhellen sollen. Ein solcher Schuh läßt Fußballspielen als rationales Verhalten erscheinen. Die Ornamente leugnen ihren Spielcharakter - bei den neuen Adidas-Modellen dürfen nicht einmal die drei Streifen einfach Streifen sein. Auch sie werden dazu eingespannt, Sehnen als Bänder anschaubar zu machen. Die Marken wetteifern um das beste High-Tech-Dämpfungssystem. Dieses mag für Spitzensportler nötig sein, für Konsumenten hat es bloß Spaßwert. Der Funktionalismus verdeckt, daß es in Wahrheit nur um eines geht: Um das ultimative Hip-Hop-Feeling. Um den Flirt mit dem Gangsta-Rap.


© Dr. Wolfgang Pauser 1996
Tel. +43 1 6027491 Email: pauser@compuserve.com

Dr. Pausers Schuhwerk erschienen in DIE ZEIT

back -----|||||||||----- forward

©SAWETZ Communications 1997. All rights reserved.